Eine Musikhalle für Münster

Denken wir uns die Stadt Münster einmal als eine große Familie. Wie jede Familie hat sie einen wunden Punkt, ein besonders heikles Thema, das alle entzweit und permanent Streit aufkommen lässt. In Münster ist es die Frage nach der Musikhalle.

Ein kurzer historischer Abriss: Schon seit Anfang der 1990er Jahre gibt es den Plan, eine solche Musikhalle zu bauen. Aber das Projekt schleppte sich dahin, bis die Landesregierung sich bereit erklärte, der Stadt ein Grundstück auf dem Hindenburgplatz zu überlassen, in unmittelbarer Nähe des Schlosses, das von der Universität genutzt wird. Eigentlich ein hochgradig geeigneter, fast noch innerstädtischer Ort. Aber auch ein umstrittener Ort; viele wollten ihn als bequemen Parkplatz behalten, außerdem findet hier dreimal im Jahr ein großer Jahrmarkt statt, der Send.

2007 traten die Planungen endlich in eine heiße Phase, doch jetzt meldeten sich zusätzliche Gegner einer Musikhalle. Ihre Argumentation: Sie diene als Veranstaltungsort für überwiegend klassische Musik nur einer kleinen, elitären Klientel. Im Jahr 2008 wurde der Stadt qua Bürgerbegehren verboten, sich finanziell an einer Musikhalle zu beteiligen. Die damalige Auseinandersetzung spaltete die Bevölkerung, das Thema wurde fortan sorgsam gemieden, und der Hindenburgplatz, der mittlerweile Schlossplatz heißt, bleibt wohl auf ewig und drei Tage ein Parkplatz.

Nach zehn Jahren ist nun die Idee einer Musikhalle aus dem Exil zurückgekehrt. Aber sie ist immer noch Münsters wunder Familienpunkt. Wer ihn berührt, riskiert Streit, Beleidigungen, Türenschlagen und Enterbung.

Momentan konkurrieren zwei Projekte. Nummer eins liefe auf eine städtisch-universitäre Kooperation heraus und auf einen ganzen Musikcampus, der nicht vor, sondern hinter dem Schloss liegen würde. Hier könnten die Uni und die Musikschule lehren, hiesige und fremde Orchester konzertieren. Das Projekt atmet den spröden Charme des Machbaren, da es gewissermaßen die musikalischen Kräfte bündeln würde und mit staatlichem Zuschuss rechnen darf.

Projekt Nummer zwei präferiert eine rein städtische Musikhalle mitten in der Stadt, auf dem Hörsterplatz, der wohl letzten großen Kriegsbrache. Die Musikhalle läge dann in unmittelbarer Nähe von Stadttheater und Stadtbibliothek, deren Neubauten aus den Jahren 1958 und 1990 das ansonsten eher homogene Stadtbild Münsters spektakulär akzentuieren. Hier zu bauen, wäre eine architektonische Herausforderung ersten Ranges. Getragen wird das Projekt von Architekten, Investoren und engagierten Bürgern.

Ich persönlich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll. Der Musikcampus ist, wie gesagt, wahrscheinlich realistischer und irgendwie praktischer, womöglich auch solider finanziert. Das Innenstadt-Projekt birgt dagegen die Möglichkeit eines großen städtebaulichen Wurfes.

Doch die meiste Zeit fürchte ich, ich werde eine Musikhalle in Münster gar nicht mehr erleben. Denn die Diskussion darüber verläuft leider so wie die Debatten über den wunden Punkt in der Familie. Man setzt sich kaum einmal an einen Tisch, man bildet vielmehr Gruppen, die nicht gut übereinander reden, dauernd fühlt sich jemand verletzt, übergangen oder hintergangen, sei es zu Recht, sei zu Unrecht.

Und das ist äußerst schade. Denn bei der Musikhallen-Debatte geht es zwar vordergründig um Städtebau, Kultur, Architektur und natürlich Geld, aber es geht auch um etwas Symbolisches. Die Debatte ist der Prüfstein dafür, ob die Bürger einer Stadt sich für deren Gestalt und deren Profil interessieren. Und vor allem: ob sie Wege und Verfahren finden, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, ohne einander dabei dauernd auf die Füße zu treten und sich bis zum Sankt Nimmerleinstag zu zerstreiten. In Münster sieht es momentan so aus, als würde der wunde Punkt der Familie an die nächste Generation vererbt.