Ein Brunnen soll bleiben

Mai 2018

Spätestens seit dem Sommer 2017 steht es fest: Die Skulpturprojekte gehören zur Münsteraner Geschichte – und sind sie, wie soll ich sagen, ein Stück Identitätsfolklore der Münsteraner. Im letzten Sommer fand diese Ausstellung von Kunst im öffentlichen Raum zum fünften Mal statt. 1977 und 1987 wurden ihre Objekte noch massiv angefeindet, teilweise auch zerstört, aber seit zwanzig Jahren schließen die Münsteraner „ihre“ Kunstwerke mehr und mehr ins Herz. Längst hat die Ausstellung in Münster eine ähnliche Bedeutung wie sie früher religiöse Feste hatten.

Für mich war der erste Skulpturprojekte-Sommer 1977 zugleich mein erster Sommer in Münster. Vierzig Jahre lang habe ich erlebt, wie sich die Kunstwerke von Störenfrieden über Attraktionen zu Katalysatoren der stadtbürgerlichen Identitätsstiftung wurden. Allen voran die drei Kugeln am Aasee, die Münster mittlerweile so sehr repräsentieren wie etwa der Dom.

Doch nun ist etwas Dummes passiert. Tatsächlich sieht es so aus, als würde von den Skulpturprojekten 2017 kein einziges Objekt im öffentlichen Raum erhalten bleiben. Keine der Ausstellungen zuvor wurde mit so viel Freude und Spannung erwartet, und nun scheint ausgerechnet sie dem Stadtbild nichts Dauerhaftes hinzuzufügen. Nichts, das die Münsteraner für ihren Alltag vereinnahmen könnten.

Doch bevor dieser Mangel an Bleibendem sich abzeichnete, kam es in Münster zu einer Bewegung, für die es weltweit sicher nicht allzu viele Beispiele gibt. Noch während der Ausstellung gründete sich eine Bürgerinitiative, die den Brunnen der amerikanischen Künstlerin Nicole Eisenman zurück an seinen Platz in der Promenade holen möchte, also in den berühmten und viel frequentierten Grüngürtel rund um die Innenstadt.

Wie das geschehen soll? Nun, das ist schnell erklärt: Aufstellung und Unterhalt des Brunnen kosten 1,2 Millionen Euro; 600.000 will die Bürgerinitiative einsammeln, der Rest soll dann aus staatlichen Kassen ergänzt werden. Die Bürgerinitiative veranstaltet Informationsabende, sie setzt auf eine breite Beteiligung der Münsteraner Bürgerschaft. Die einfache Rechnung lautet: jeder zehnte Bürger spendet zwanzig Euro. Das würde reichen.

Ein kurzer Blick auf den Brunnen selbst. Rund um ein schlichtes Wasserbasssin stehen und liegen in lässiger Haltung eine Reihe leicht überlebensgroßer, in Bronze gegossener Figuren. Mir persönlich erschienen sie immer wie menschenähnliche, aber außerirdische Lebewesen, die nach einer gescheiterten Expedition zum Planeten Erde beschäftigungslos geworden sind und jetzt, nun ja, zusammen abhängen. An ihrem prominenten Ort in der Promenade verbreiteten sie für mich eine relaxte, aber auch melancholische Stimmung. Andere mögen das natürlich anders sehen. Fest steht aber: Sie waren eine Attraktion im Wortsinne, sie zogen die Menschen an und ermunterten sie, mit ihnen zusammen, nun ja, abzuhängen.

Momentan ist es völlig offen, ob der Brunnen nach Münster zurückkehren wird. Doch wie auch immer die Sache ausgehen mag: Für mich ist die Münsteraner Bürgerinitiative eines der interessantesten Projekte der abgelaufenen Skulpturenausstellung. Womöglich ist sie sogar interessanter und sprechender als das Kunstwerk selbst. Ich zumindest glaube in ihr etwas über das gegenwärtige Bewusstsein meiner Mitbürger erfahren zu können. Und zwar vor allem dies: Viele Menschen hegen eine starke Sehnsucht nach Orten der Identität, stärker gesagt: eine Sehnsucht nach Orten der Idylle. Doch zugleich zeigen sie die Bereitschaft, diese Orte als schwierige, als widerständige oder als melancholische Orte in Kauf zu nehmen. Das ist, was ich einen produktiven Widerspruch nennen möchte. Und deshalb hoffe ich auch sehr, dass der Brunnen zurückkommt.