Klimawandel und Biedermeier
Mai 2019
Ja, der Klimawandel. Ich hoffe, es klingt nicht allzu zynisch, wenn ich sage: Eigentlich müssen wir ihm dankbar sein. Denn immerhin hat er bei der Europawahl einen scharfen und frischen Wind durch die deutsche Parteienlandschaft geschickt; er hat viele junge Wähler mobilisiert und so deutlich positioniert, dass der alte, längst eingeschlafen geglaubte Generationenkonflikt wieder aufgewacht ist. Außerdem hat er dafür gesorgt, dass die Themen der neuen politischen Rechten hierzulande ganz erheblich an Attraktion verloren haben.
So weit, so gut. Ich begrüße das alles; aber ich bin auch skeptisch. Und ich frage mich: Ist es eigentlich richtig, dass die Sorge um das Klima so hoch oben auf unserer politischen Agenda steht, wie das momentan der Fall ist?
Einerseits stimmt natürlich, dass der Klimawandel ein höchst wichtiges globales Phänomen ist, von daher gehörte er als Thema durchaus in die Europawahl. Das Klima geht uns alle an. Und auch, wenn gilt, dass weder Deutschland noch Europa allein durch einen grünen Umbau der Wirtschaft am Klimazustand der Welt Entscheidendes ändern können, so gilt doch auch, dass jemand den Anfang machen muss, wenn die Verhältnisse sich verbessern sollen.
Erfolg aber, wirklicher Erfolg bei dem Bemühen um einen Schutz des Weltklimas würde voraussetzen, dass es zu Abmachungen und Regeln auf globaler Ebene und natürlich zu deren Umsetzung kommen würde. Von denen aber sind wir weit entfernt, solange die großen Wirtschaftsmächte offen gegeneinander Handelskrieg führen und zusätzlich auf Nebenschauplätzen der Weltgeschichte Stellvertreterkriege ausfechten.
Mit anderen Worten: Wir werden von Deutschland und auch nicht von Europa aus das Klima retten und die Luft und die Meere säubern. Und was würde uns auch die saubere Luft nutzen, wenn sie von Mittelstreckenraketen durchflogen würde, und was das saubere Meer, wenn es der Austragungsort eines globalen Handelskrieges wäre. Nichts würden sie nützen. Das mit weitem, mit sehr weitem Abstand wichtigste politische Ziel des 21. Jahrhunderts ist dagegen der Frieden, denn der Frieden ist die Voraussetzung von allem anderen.
Und es tut mir leid, aber meine Skepsis gegen die Klimawandel-Forderungen geht noch etwas weiter. Ich fürchte nämlich, die Fokussierung auf Umweltthemen produziert ein neo-biedermeierliches Bewusstsein, das sich in der Sorge um durchaus relevante lebensnahe Fragen erschöpft und dabei Gefahr läuft, nicht wirklich über den eigenen Gartenzaun hinauszuschauen.
Ich weiß, das ist ein heißes Thema; und vielleicht verbrenne ich mir daran die Zunge. Ich bin ja keineswegs gegen eine Umweltarbeit vor Ort. Ich werde es begrüßen, wenn ich demnächst die vierte Mülltonne vors Haus stellen soll. Jeder soll da an der Entlastung der Umwelt mitarbeiten, wo er das kann. Aber ich möchte nicht, dass das Mülltrennen oder ähnliche Alltagshandlungen mir als quasi religiöse Handlungen zuviel Genugtuung verschafft. Ich möchte auch nicht, dass ich mit der gebetsgleich wiederholten Forderung nach einer sofortigen Abschaffung von Kohleverstromung oder Dieselfahrzeugen mir selbst suggeriere, ich sei schon ein politischer Aktivist und ein Kämpfer für die einzig gerechte Sache.
Nein, ich glaube, Politik im 21. Jahrhundert ist eine verflucht schwierige Angelegenheit, die mehr vom Einzelnen verlangt als ökologisch-moralische Standpunkte. Da ist zum Beispiel die unendlich schwierige Aufgabe, eine wirkliche politische Einigung Europas zu betreiben, die freilich eine absolut notwendige Grundvoraussetzung dafür wäre, dass wir überhaupt im globalen Kontext agieren könnten. Das ist eine Herkules-Aufgabe, für die es mehrere Generationen von Frauen und Männer bräuchte, die sich für ein solches Ziel im mühseligen und kleinschrittigen politischen Alltag zerreißen müssten.
Die Europawahl hat hier in Deutschland den Wunsch vieler Wähler bekundet, Richtig und Falsch deutlich voneinander zu trennen und auf ein gewaltiges Bündel von Fragen an unsere Zukunft möglichst nur eine einfache Antwort zu geben. Doch da bin ich mir sicher: Unsere Zukunft wird alles Mögliche sein – bloß eines nicht: einfach.