Corona-Brief Nr. 49
Tourismus in Münster zu Corona- Zeiten. Interview mit Bernadette Spinnen, Leiterin von Münster Marketing und Vorsitzende der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing (25.7.2021)
Wie wirkt sich die Pandemie auf den Tourismus-Standort Münster aus?
Bernadette Spinnen: Das Reisen war zeitweise unmöglich, die Häuser waren geschlossen, das Personal in Kurzarbeit, Aushilfskräfte haben sich andere Jobs gesucht. Der Tourismus in Münster lag am Boden und wird nicht von null auf hundert kommen. Aber durch die Pandemie haben sich grundlegende Parameter geändert. Zum Beispiel ist der Inlandstourismus stärker gefragt. Die Menschen suchen sich Orte und Regionen aus, in denen sie sich sicher fühlen, wo sie viel Natur und trotzdem Urbanität finden. Dafür haben Münster und das Münsterland gute Voraussetzungen.
Wie waren die Besucherzahlen vor Corona, während des Lockdowns und aktuell in der Lockerungsphase?
Spinnen: Die aktuellsten verfügbaren Zahlen sind von Mai 2021. Der Vergleich mit dem Mai 2020 und dem Mai 2019 ist jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil die Hotels im Jahr 2020 erst am 19. Mai und in diesem Jahr auch erst zur Mitte des Monats wieder öffnen durften. Eine Zahl ist aber eindeutig: Die Übernachtungen im Jahr 2020 sind im Vergleich zum Vorjahr um 83 Prozent gesunken. Von 2020 zu 2021 gibt es lediglich eine Tendenz: Hoteliers teilen uns mit, dass sie noch nicht wieder voll ausgelastet seien, aber endlich wieder Sommerferiengäste begrüßen könnten. Neu ist, dass deutlich mehr Gäste nicht mehr nur eineinhalb Tage, sondern drei Tage bleiben.
Die Besucher bleiben länger. Setzen sie auch inhaltlich andere Schwerpunkte?
Spinnen: Ja. Die Menschen machen anders Urlaub. Man kann sich das anhand eines Bildes vorstellen: Früher war die Vorstellung des Urlaubsortes wie eine Box: man ging in ein quasi geschlossenes System. Den Zielort wählte man nach Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen aus. In Paris muss man immer auf den Eiffelturm, sonst war man nicht da. Heute ist das anders. Das Bild einer Destination ist – auch durch Corona getrieben – weniger ein geschlossener Raum, eine Box , sondern vielmehr ein Netz . Die Menschen suchen Räume mit Aufenthaltsqualität ,mit leichten Übergängen und kurzen Wegen. Mit dem Rad aus dem Grünen in die Stadt, ein Café-Besuch, etwas Straßenmusik oder zu Fuß durch die Stadt und ins angrenzende Grün. Die neue Urlaubsform für den Städtetourismus ist das Schlendern.
Was ändert sich außerdem?
Spinnen: Der Fahrradtourismus nimmt zu. Die Campingplätze sind sehr gut gebucht, auch Wohnmobiltourismus ist im Kommen. In dem Bereich sind wir als Stadt leider noch nicht so gut ausgestattet.
Gibt es Überlegungen, die Möglichkeiten für Wohnmobilisten auszubauen?
Spinnen: Ja, aber es fehlen Flächen. Das Problem kann man nicht kleinreden. Hält der Wohnmobil-Trend an, müssen wir neue Überlegungen anstrengen.
Was ist mit der Fläche am Mühlenhof, wo Wohnmobilisten geduldet sind?
Spinnen: Es gibt den Wunsch des Mühlenhofs, diese Fläche zu bewirtschaften. Aber auch dort gibt es Nutzungskonflikte. Die Camper nutzen gerne die Sanitäranlagen der Sportanlage, was nicht jedem gefällt. Es ist ein begehrter Platz, es stünde ein Betreiber zur Verfügung, aber wie jede kommerzielle Nutzung auf städtischer Fläche muss auch diese ausgeschrieben werden.
Welche Rolle spielen die drei neuen Hotels Atlantic, Novotel und Ibis sowie das geplante Hostel The Carl künftig für den Tourismus-Standort Münster?
Spinnen: Wir haben uns schon lange mehr Hotelangebote gewünscht. Wir mussten Kongresse abgeben, weil wir nicht ausreichend passgenaue Übernachtungsplätze generieren konnten. Insofern sind die zusätzlichen 1600 Betten in den neuen Häuser zu begrüßen. Das ist nicht wenig, vor allem nach Corona. Denn ob wir im Geschäftstourismus jemals wieder die Zahlen aus Vor-Corona-Zeiten erreichen, bezweifele ich.
Warum?
Spinnen: Die Digitalisierung verändert den Bereich der Tagungen immens. Die Pandemie hat gezeigt, dass es – mit Abstrichen – auch von zu Hause geht. Eine Dienstreise bedeutet immer einen großen finanziellen und zeitlichen Aufwand, und mit digitalen Angeboten erreicht man mehr Teilnehmer. Deshalb werden immer mehr Veranstalter neben den analogen auch zu digitalen oder hybriden Formaten übergehen. Die großen Kongresse mit 1000 Teilnehmenden werden vermutlich weniger werden – mit Auswirkungen auf die Übernachtungszahlen.
Ein Grund zur Sorge?
Spinnen: Nein. Der touristische Erfolg sollte sich künftig nicht mehr nur an Übernachtungszahlen messen. Denn die Städte, die mit Übernachtungszahlen punkten, sind manchmal auch die, die Probleme mit Tourismus haben, wie aktuell zum Beispiel Amsterdam. Für die Zukunft gilt es, ein Ökosystem der Gastlichkeit zu schaffen, indem jeder findet, was er gerne in seiner Freizeit tut und so viel Tourismus zu generieren, wie die Stadt verträgt. Dafür hat Münster beste Voraussetzungen.
Wie will Münster Marketing die Stadt in dieser Pandemie-Phase für Besucher wieder attraktiv zu machen?
Spinnen: Wir haben uns schon länger von der klassischen Werbung entfernt, die nur Ereignisse und Sehenswürdigkeiten bewirbt. Vielmehr gilt es, die Stadterzählung auf vielen Kanälen zu kommunizieren. Die Münsteranerinnen und Münsteraner selbst sollen in die Welt tragen, was sich jenseits von Dom und Prinzipalmarkt entdecken lässt. Außerdem kooperieren wir mit dem Land NRW derzeit in einem Open-Data-Projekt, das die touristischen Möglichkeiten für Besucher im Netz noch sichtbarer machen soll. Und wir werden Münster noch viel stärker mit der Region Münsterland zusammen denken .Wir haben dazu eine eigene Kampagne entwickelt, die gute Ergebnisse zeigt, weil mit unserer Destination ganz offenbar dem Wunsch nach Landerlebnis und Urbanität gleichermaßen gerecht werden.
Ihre Prognose für den Tourismus in Münster für die kommenden Monate?
Spinnen: Im Moment sehen wir das Phänomen des Nachholtourismus. Das Reisebedürfnis der Menschen ist groß. Wenn die Bedingungen gut bleiben, bin ich auch danach für den Freizeittourismus optimistisch, für den Geschäftstourismus bleibe ich skeptisch , was die reinen Übernachtungszahlen anbelangt . Aber unterschätzen wir nicht die Bedeutung der vielen Gäste, die sich eine kurze Auszeit in unserer Stadt gönnen , die aus dem näheren Umkreis kommen und die uns öfter besuchen ,auch die versteckteren Schönheiten der Stadt lieben und echte Münster-Fans werden. Sie sind schon jetzt wichtige Botschafterinnen und Botschafter für Münsters Gastlichkeit.