Münster und der Fußball
September 2018
Fußballfreunde, aufgepasst! In Münster wird seit etlichen Jahren an der Lösung einer höchst interessanten ökonomisch-philosophischen Frage gearbeitet. Es ist die Frage danach, was zuerst da sein muss: Henne oder Ei? Oder, etwas genauer: Muss ein Fußballverein zuerst sportliche Erfolge vorweisen, um dann unterstützt zu werden – oder muss er zuerst unterstützt werden, um so sportliche Erfolge zu erringen?
Die Lage ist nämlich die: Der Fußballverein Preußen Münster besitzt eine nicht ganz unbedeutende Vergangenheit. 1951 wäre er beinahe deutscher Meister geworden, 1963 wurde er in die neu gegründete Bundesliga berufen. Seitdem aber sind die Preußen zweit- oder eher drittklassig, und selbst um den Verbleib in der dritten Liga müssen sie immer wieder bangen.
Ihre sportliche Heimat haben die Preußen in einem Stadion am Stadtrand, das einmal zu den schönsten Sportstädten Westdeutschlands gehört haben soll und 40.000 Zuschauer fasste. Mittlerweile ist das Stadion eine halbe Ruine, eine ganze Kurve ist wegen Baufälligkeit gesperrt. Renovierung und Ausbau des Stadions scheitern aber seit Jahren an vielerlei Gründen, darunter Geldmangel sowie Proteste von Anwohnern.
Vor etwa zwei Jahren hat ein neuer Vereinsvorstand neuen Wind in die Stadiondebatte gebracht. Die Forderungen an die Stadt sind seitdem wesentlich massiver geworden; daneben wird nach Standorten für einen Stadionsneubau gesucht, und dabei kommen sogar Orte in den Blick, die außerhalb der Stadtgrenze liegen.
Nun kann man die Stadionsdebatte durchaus politisch betrachten. Die Frage ist dann: Wie viel Geld darf eine Stadtverwaltung für wie viele ihrer Bürger aufbringen? Ein neues Stadion würde viele, viele Millionen verschlingen, profitieren würden davon im Wesentlichen ein Verein und seine Fans. Ist ein solcher Aufwand vor der Öffentlichkeit zu verantworten?
Mich aber interessiert, wie gesagt, viel mehr die Fußball-öko-philosophische Frage. Also: Henne oder Ei; bzw. Geld oder Erfolg. Was ist zuerst da oder sollte zuerst da sein? Sollte man einem Fußballverein ein schönes neues großes teures Stadion schenken, in der Hoffnung, dass er mit den gestiegenen Einnahmen bessere Spieler und mit den besseren Spielern größeren sportlichen Erfolg einheimst? Oder sollte man abwarten, ob der Verein es nicht vielleicht schafft, mit kleinem Geld große Erfolge zu erringen, und ihn dann mit einem Stadion belohnen?
Fußballkenner werden jetzt Beispiele für jede der beiden Varianten beisteuern. Die Historiker werden auf Borussia Mönchengladbach verweisen, das 1965 ohne große Sponsoren in einem Stadion aufstieg, das ein besserer Bolzplatz war. Die Pragmatiker allerdings werden auf Hoffenheim oder RB Leipzig verweisen, Vereine, die unter ständiger Zugabe von sehr viel Geld in der Retorte erzeugt wurden. Hoffenheim sogar zusammen mit einem brandneuen Stadion.
Im Moment kocht die Stadionsdebatte in Münster auf kleiner Flamme. Aber ich bin mir sicher, in diesem Herbst wird sie wieder gären und brodeln. Dann öffnet man morgens wieder sein Lokalblatt, in dessen Leserbriefspalten die Vertreter der Henne- und der Ei-Fraktion ihre Argumente austauschen, natürlich nicht ohne leicht aggressiven Unterton. Im selben Blatt werden dann auch neue Standorte vorgestellt, die mal mehr und mal weniger bejubelt werden und ganz schlecht bei denen ankommen, die in der Nähe wohnen.
Zugleich wird der Tabellenplatz der Preußen die Waagschale der Debatte an jedem Wochenende neu justieren. Drei Siege in Serie und ein Tabellenplatz mit Blick auf die Spitze werden die Stadionsbefürworter beflügeln; drei Niederlagen, und es wird heißen: Lernt ihr erst mal, anständig Fußball zu spielen, bevor wir euch ein Stadion bauen.
Ich bin sehr gespannt, wie es ausgehen wird. Vielleicht wird Münster ja einmal ein Exempel für ganz Fußballdeutschland liefern; vielleicht werden die Preußen in einem neuen Stadion noch einmal beinahe deutscher Meister, wie 1951. Oder sie werden es in ihrer jetzigen Bruchbude. Oder – und das erscheint mir gar nicht so unwahrscheinlich – alles bleibt da, wo es ist. Wie sagte der Kaiser immer: Schau’n wir mal.